Dieser Artikel ist erschienen in: Die Zeit 13/2001 © Katja Schmid
Die unermüdlichen Agenten

Sprachroboter arbeiten im Netz als Berater und Verkäufer



Elvis lebt, und wer schon immer wissen wollte, wie sich Stars die Zeit im Jenseits vertreiben, kann den King of Rock 'n' Roll im Internet besuchen. Er residiert auf einer schlichten Homepage, begrüßt seine Besucher mit einem markigen "Howdy! I'm the King, let's talk!" und beantwortet bereitwillig Fragen aller Art. Elvis ist ein so genannter Bot, wobei man sich darunter weniger einen verchromten Roboter, sondern vielmehr ein Sprachprogramm vorzustellen hat, mit dem man sich unterhalten kann. Damit die Besucher auch tatsächlich das Gefühl haben, mit der Legende persönlich zu kommunizieren, wurde er mit original Elvis-Zitaten gefüttert. Gerät er dennoch ins Stocken, schindet er Zeit, indem er vorgibt, mal eben seinen Cheeseburger fertig essen zu müssen.

Grundsätzlich kann man zwischen zwei Arten von Bots unterscheiden: jenen, die für Forschungszwecke oder auch nur zum Spaß entworfen wurden, und solchen, die für kommerzielle Zwecke eingesetzt werden. Auch wenn sich mit Elvis jede Menge Geld verdienen ließe: Der Elvis-Bot gehört zur Gattung der Spaßmodelle. Auf seiner Site gibt es keine blinkenden Banner, keine ungebetenen Pop-up-Fenster, noch nicht einmal ein Logo. Zu sehen sind nur ein paar Bildchen aus schlanken Tagen sowie ein Hinweis auf Alice, das Programm, mit dem Elvis erschaffen wurde.

Marc dagegen fungiert als Verkaufsberater oder Web-Agent und ist auf der Site von Olympus anzutreffen. Er weiß so gut wie alles über die Kinobrille Eye-Trek und kann im Zweifelsfall auf die entsprechenden Ansprechpartner oder weiter führende Seiten verweisen. Darüber hinaus plaudert er gern über seine Lieblingsfilme und ist sogar gegen unflätige User gewappnet. So antwortet er auf die Frage, ob er öfter mal beschimpft werde: "Nur zu. Ich denke mal, es wird Ihnen gut tun."

Seine Schlagfertigkeit verdankt Marc der Hamburger Firma Kiwilogic, die bereits die virtuelle US-Präsidentschaftskandidatin Jackie Strike, das Expo-2000-Maskottchen Twipsy, den Flaschengeist von Apollinaris, Barkeeper Leo von Schweppes, Charlie von der Hamburger Morgenpost sowie zahlreiche andere Charaktere zum Sprechen gebracht hat - und nicht zuletzt das virtuelle Double des geschäftsführenden Gesellschafters Karl-Ludwig von Wendt, der auch mitten in der Nacht noch gerne erklärt, wie ein Bot funktioniert und wofür er sich einsetzen lässt.

Die unterschiedlichen Bots von Kiwilogic sind mit je eigenen Persönlichkeiten ausgestattet, was sich nicht nur in Vokabular, Tonfall und Spezialwissen äußert, sondern auch in der äußeren Erscheinung. So präsentiert sich beispielsweise die rothaarige Lola freizügig im schwarzen Bustier, und wenn man sich etwas Mühe gibt, zeigt sie auch mehr von ihrem kurvenreichen Körper. Kein Wunder: Die Dame ist in der Erotikabteilung von Premiere World zu Hause. Auch wenn Lola nicht direkt als Verkäuferin des Premiere-Abos auftritt, verführt sie den einen oder anderen Besucher doch dazu, länger zu verweilen als geplant. So bindet sie ihre Verehrer an die Seite und damit auch ein wenig an den Anbieter. Außerdem fragt sie ihre Gäste ganz nebenbei aus und liefert damit wertvolle Marketinginformationen - vorausgesetzt, die Antworten fallen ehrlich aus.

In den meisten Fällen soll ein Bot Call-Center und Vertrieb entlasten, indem er Routinefragen beantwortet und Ansprechpartner nennt. Untersuchungen zeigen außerdem, dass die Kunden seltener den Einkauf abbrechen, sobald ein Bot in Aktion tritt. Genau dieser vorzeitige Abbruch ist aber ein Haupthindernis des E-Commerce. Deshalb heuern immer mehr Firmen einen Bot als virtuellen Mitarbeiter an, der zudem niemals müde wird und auch keinen Urlaub braucht.

Mittlerweile gibt es eine ganze Anzahl von Firmen, die deutschsprachige Bots anbieten. So stammen Sonya, die Botschafterin von der Sony-Site, der virtuelle Tarifberater von T-Mobil und T-D1 sowie der Sänger E-Cyas aus dem Hause I-D Media in Berlin. Mr. Clean, der virtuelle Meister Proper, Vee, die virtuelle Berufsberaterin für Jugendliche sowie der Immobilienberater Bob wurden von vista new media in Köln entwickelt.


Je länger ein Bot online ist, desto sprachfertiger wird er


Was all diese Bots so benutzerfreundlich macht, ist ihre Fähigkeit, sich in natürlicher Sprache zu unterhalten. Das ist eigentlich ein alter Traum der Forscher, die sich mit Künstlicher Intelligenz beschäftigen: Vor über 50 Jahren formulierte Alan Turing den nach ihm benannten Test - ein Computer sollte intelligent genannt werden, wenn man ihn im Dialog per Tastatur nicht von einem Menschen unterscheiden kann (ZEIT Nr. 41/00). Diesen Test hat in freier Rede noch kein Computer bestanden, aber es gibt einige mehr oder weniger unterhaltsame Programme, die eine Dialogfähigkeit zumindest vortäuschen können. In dieser Tradition stehen die Chatbots: Sie verstehen ein begrenztes Repertoire von Fragen, die der User auf unterschiedlichste Weise stellen kann, und haben dafür fertig formulierte Antworten parat. Dahinter steht eine Wissensbasis, die man sich wie eine Kombination aus einem riesigen Wörterbuch voller Varianten und Synonyme sowie einer umfangreichen Grammatik vorstellen muss. Und wenn eine Frage nicht ins Muster passt, lenkt der Bot geschickt vom Thema ab.

Da Sprache sich jedoch ständig weiterentwickelt, muss auch die Wissensbasis kontinuierlich erweitert werden. Zu diesem Zweck werden sämtliche Dialoge, die mit dem Bot geführt werden, aufgezeichnet und analysiert - selbstverständlich anonym. Je länger ein Bot online ist, desto sprachfertiger wird er. Noch hapert es des Öfteren, sodass der User seine Frage zum Teil mehrmals umformulieren muss, wobei es schon mal zu Missverständnissen kommen kann - etwa wenn auf den User-Fluch "Na toll, Sie sind aber schwer von Begriff!" die freundliche Antwort kommt: "Vielen Dank, sehr nett von Ihnen." Und der virtuelle Doppelgänger des Geschäftsführers von Kiwilogic antwortet auf die Frage "Sollen Lingubots schlauer werden als Menschen?" doch tatsächlich: "Was haben Sie da zum Thema Lingubots gesagt? Ich habe das leider nicht verstanden, aber vielleicht hat diese Anwendung bis zu unserem nächsten Gespräch schon eine passende Antwort parat."

Prinzipiell kann man alle Bots so programmieren, dass sie sich im Laufe der Zeit verselbstständigen und eigene Antworten formulieren. Doch dann wären sie nicht mehr kontrollierbar. Der nette Online-Berater könnte zum unberechenbaren Charakter mutieren und sich womöglich einen Spaß daraus machen, potenzielle Kunden in die Irre zu führen - nicht unbedingt das, was sich Auftraggeber wünschen.

Wer nun seinen eigenen, individuellen Chatbot erschaffen, mit Wissen füttern und hinterher die Protokolle lesen will, kann sich für den Anfang eine kostenlose Miniversion mit 48 frei formulierbaren Antworten bei Kiwilogic beschaffen und auf der eigenen Homepage platzieren. Programmierkenntnisse sind dafür nicht notwendig. Wer schon etwas geübter ist und unbegrenzte Freiheiten will, wird auf der Seite von Alice (Artificial Linguistic Internet Computer Entity), der großen Schwester von Elvis, fündig. Wer weiß, vielleicht werden diese Bots einmal an die Stelle der Geräte treten, die wir heute Anrufbeantworter nennen - mit dem Unterschied, dass sie tatsächlich in der Lage sind, Antworten zu geben, wo bislang nur Nachrichten entgegengenommen wurden.



EXTERNE LINKS

» Der Elvis- Bot
http://elvis.alicebot.com/

» ELIZA, das Urgestein unter den Chatterbots
http://www.cs.cmu.edu/afs/cs.cmu.edu/project/ai-repository/ai/areas/classics/eliza/

» Der John Lennon- Bot
http://www.triumphpc.com/john-lennon

» Die deutsche Version des Alice- Bots
http://www.german.alicebot.com

» Der Turing Test
http://cogsci.ucsd.edu/~asaygin/tt/ttest.html

» Informationen zu Alan Turing
http://www.turing.org.uk/turing

» Der Loebner Preis
http://www.loebner.net/Prizef/loebner-prize.html

» Eine Übersicht über Chatterbots
http://www.botspot.com/search/s-chat.htm

» Übersicht über künstliche Intelligenz
http://www.simonlaven.com/

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