Unter bis zu 6000 Artikeln kann man im Supermarkt scheinbar wählen. Doch Regale, Spiegel und Aktionsflächen lenken jeden Schritt und jeden Blick. Der Kunde wird so durch den gesamten Laden gelotst und durch künstliche Barrieren zum Abbremsen gezwungen. Denn: je länger er im Geschäft bleibt und je mehr Waren er sieht, desto mehr Geld gibt er aus. Und weil der deutsche Käufer am liebsten nach rechts schaut, stehen da die teuersten und unnötigsten Waren. Obst und Gemüse befinden sich in der Regel gleich am Eingang. Immergrüne Deko und blitzender Chrom versprechen: in diesem Laden ist alles frisch. Manchmal laden schon im Freien kunstvolle Pyramiden aus Erdbeeren, Tomaten und Salat die Kunden ein, durch die - natürlich von selbst aufschwingende - Türe zu treten.
auf einen blick:
Muzak, der legendäre Supermarktsound, soll möglichst nicht wahrgenommen werden und trotzdem dafür sorgen, daß alle sich wohl fühlen und gerne einkaufen. Marketingspezialisten stellen für jede Tageszeit das richtige Programm zusammen: morgens Melodien für die Hausfrau, abends Single-Sound. Leider geht die Rechnung oft nicht auf: „I Just Called To Say I Love You“ hängt uns längst zu den Ohren raus.
Im Barcode, der in den späten 70er Jahren eingeführt wurde, wollten Apokalyptiker das Mal erkannt haben, das beim Weltuntergang ein jeder auf der Stirn tragen wird. Weil kein menschliches Auge den Strichcode lesen kann und das Preisschild am Regal sowieso keiner findet, kann die Abrechnung an der Kasse tatsächlich zu einer Art Jüngstem Gericht werden, das darüber entscheidet, ob man wieder raus darf oder nicht.
Am Anfang war eine kurze Einkaufsliste, am Ende platzen die Tüten. Denn zwischen Fleischtomaten und Feinstrumpfhosen verstecken sich Psychofallen, vor denen es kein Entrinnen gibt.
der supermarkt
Jeder Millimeter Regalfläche wird in den Konzernzentralen genau verplant: weil sich die gleiche Ware dreimal so oft verkauft, wenn sie in Augenhöhe plaziert wird, werden die wirklich wichtigen Nachrungsmittel auf den billigen Plätzen im Parterre versteckt. Alles, wonach man sich nie freiwillig bücken würde, was aber trotzdem in den Wagen soll, befindet sich auf Augenhöhe. Außerdem wissen Konsumpsychologen, daß drei Packungen nebeneinander bei vorbeistreunenden Kunden mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen als eine.
Was weg muß, steht vorne: Kunden, die das ganze Milchregal ausräumen, um auch ja die Flasche mit der längsten Haltbarkeit zu finden, sind deshalb nicht sehr beliebt. Was am schnellsten weg muß, wird dem Käufer gleich mitten in den Weg gelegt - und zwar in inszenierter Unordnung. Denn, was scheinbar chaotisch im Wühlkorb liegt, das muß doch einfach billig sein.
Kurz vor dem Ziel ist die Gefahr der Verführung am größten: Impulsartikel heißen die Dinge, die nicht auf dem Einkaufszettel stehen und trotzdem gekauft werden wollen - Zeitschriften, Alkohol, Zigaretten, Süßigkeiten. Nicht weniger verführerisch ist der Blick in fremde Einfkaufswagen. Darin entdeckt man Dinge, die man fast vergeessen hätte zu kaufen: Senf, Butter und Zahnpasta zum Beispiel. Deswegen war man ja losgegangen.
Katja Schmid
jetzt 17/1996
Einkaufswagen sind so konstruiert, daß mehr in sie hineinpaßt als man tragen kann, und sie versetzen Kleinkinder in Reichweite des Keksregals. Blockierende Räder und ein künstliches Gefälle im Boden sorgen dafür, daß sie ständig zu dem Regal rollen, das einen eigentlich nicht interssiert, in dem man aber trotzdem noch etwas findet, das unser Begehren weckt.
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