Dieser Artikel ist erschienen in: jetzt, das Jugendmagazin der Süddeutschen Zeitung, 6/96. © Katja Schmid
jetzt: Tretroller - die frechste Art der Fortbewegung

Tretroller fahren doch nur Kinder! Falsch, ganz falsch. Tretroller kann jeder fahren, der mutig genug ist. Tretrollerfahren ist keine Frage des Könnens, sondern eine Frage der Haltung. Der Tretroller ist das schwarze Schaf in der Familie der Fortbewegungsmittel. Er ist eine Art Bastard, bei dem niemand so, recht weiß, wo er eigentlich hingehört.

Deshalb ist es nicht verwunderlich, daß er ausgerechnet in so chaotischen Situationen wie dem wochenlangen Streik in Frankreich auftauchte. Der gesamte öffentliche Nahverkehr war in Paris zusammengebrochen, plötzlich waren auch die Roller ausverkauft. Als Inbegriff für Einfallsreichtum und Wendigkeit fand das Bild vom Rollerfahrer seinen Weg in die Weltpresse. So ist er endlich zu Ruhm und Ehre gekommen. Er konnte seinen Charme ausspielen, neben den allgemeinen Lieblingen, den Fahrrädern und Mofas. Bis viele wieder rollen, ist es nur eine Frage der Zeit oder des Wetters.

Es ist aber fast so, als sei der Tretroller mit einem Tabu belegt; wenn man erst die allgemeine Fahrradreife errefcht hat, ist es ein für allemal aus mit dem Rollern. Für die meisten jedenfalls. Nur wer keine Angst hat vor der Lächerlichkeit, hat das Zeug zum Weiterrollern. Und die geheime Formel der Aufsässigen lautet: Na und! Tretrollerfahren ist lässig.

Tretroller waren fast in Vergessenheit geraten, und wenn einer an uns vorbeiflitzte, begannen wir uns zu wundern, aber da war er auch schon wieder verschwunden, und wir wünschten, wir hätten aufspringen können.

Wie bei jeder wichtigen Sache gibt es auch hier eine Verschwörungstheorie. Die erste Version lautet: die Fahrradindustrie wollte nichts zwischen sich und dem Dreirad dulden und erschuf deshalb das Kinderfahrrad mit Stützrädern. Die eigentliche Rollerphase wurde dadurch abgeschafft. Die zweite Version der Verschwörungstheorie geht davon aus, daß irgendjemand den Kindern den Spaß am Rollern gründlich austreiben wollte - und diesen mickrigen Pseudoroller aus Holz erfand mit harten kleinen Rädchen, der in Wirklichkeit ein verkapptes Dreirad ist, weil er hinten zwei Räder hat.

Aber so leicht ist der Roller nicht totzukriegen. Das mußten auch die Fahrradhersteller einsehen, die sich jetzt selbst an der Neuerfindung des Tretrollers versuchten, indem sie das „Rollerbike", einen Roller mit großen Rädern, in die Welt setzen. Der fährt zwar schneller, aber der klassische Roller hat kleine weiße prallgefüllte Reifen. Und natürlich muß er rot sein. Oder metallfarben. Es ist nicht ganz einfach, einen stilechten Tretroller zu finden. Wer keine Kompromisse in Kauf nehmen will, geht auf den Flohmarkt, sucht in Fahrradläden oder läßt sich einen bauen. Das kostet auch nicht mehr als ein Dreigangfahrrad.

Es ist müßig, nach den Helden der Tretrollerfahrer zu fragen, denn sie sind Einzelkämpfer. Sie brauchen keine Helden, und gerade darum sind sie es selber. Der berühmteste ist Donald Duck in der Rolle des Fantomias. Und natürlich seine drei Neffen, notorische Tretrollerfahrer, die sich von niemandem etwas vormachen lassen.

Manchmal können Tretrollerfahrer auch gefährlich sein, besonders wenn es viele Regeln gibt. In einer Erzählung von Irmtraud Morgner aus DDR-Zeiten kauft sich eine Frau einen Tretroller und hat damit einen Riesenspaß. Soviel Spaß, daß er ansteckend wird. Und am Schluß ist der ganze Staat gefährdet.

Es klingt wie ein Paradox, aber wahr ist es trotzdem: mögen Tretrollerfahrer auch noch so eigen sein, auf ihrem Roller ist immer noch ein Platz frei. Oder auch zwei. Auf dem Lenker und hinter dem Fahrer, je nach Bauart noch zusätzlich auf dem Hinterrad. Natürlich sieht man auch allein gut aus auf einem Roller. Bei einem Tandem undenkbar. Und anders als bei der großen Schwester Vespa braucht man keinen Führerschein.

Auf dem Roller gibt es auch keine Kleiderordnung. Ganz gleich, was man gerade anhat, Rollern geht immer. Es gibt keine Speichen, in die man sich etwas einklemmen könnte, und durch die relativ niedrige Trittfläche sind auch enge lange Röcke nicht das Ende der Bewegungsfreiheit.

Niemand sagt, daß man es auf einem Roller eilig haben muß. Das Beste am Tretroller ist ja nicht das Treten, sondern das Gleiten. Man steht aufrecht und vergißt die Welt. Aber anders als beim Radfahren fällt man nicht um, wenn man zu langsam wird. Er ist das ideale Stadtgefährt, denn man kann ihn schwer beladen und trotzdem ganz locker neben sich herschieben. Und nebenbei noch mit seinen Freunden plaudern.

Es geht auch ohne Keuchen und Schwitzen. Und es ist sogar möglich, wie eine Fee im langen Abendkleid durch die Nacht zu rauschen.

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